Eigentlich freue ich mich. Denn Digital Detox ist inzwischen in aller Munde.
Medien berichten immer häufiger darüber, Anlässe gibt es genug. Das fängt an mit Neujahrsvorsätzen und dem Ändern von Gewohnheiten, geht weiter mit dem Handyfasten und dem Vermeiden von Stress im Job, der mitunter durch das von Smartphones, E-Mails usw. verursachte Multitasking entsteht, und endet bei der richtigen Pause und dem Urlaub ohne Handy, welche Entspannung bringen sollen.
Mittlerweile gibt es Digital-Detox-Apps, Digital-Detox-Camps, Digital-Detox-Seminare und Digital-Detox-Bücher. Eltern fragen sich, ob ihr Kind ein Smartphone braucht und wie sie mit handysüchtigen Teenagern umgehen sollen. Pädagogen rätseln, wie die Kids am besten an digitale Geräte und Medien herangeführt werden. Wissenschaftler untersuchen in Digital-Detox-Studien, wie bedenklich inzwischen unsere Abhängigkeit von Smartphone, Social Media und Co. ist und was dagegen helfen könnte.
Kurz: Digital Detox ist in unserer Gesellschaft angekommen. Und das ist gut so! Trotzdem fragen sich immer noch viele:
Was ist Digital Detox eigentlich?
Wenn ich von meinem Blog erzähle, schaue ich oft in fragende Gesichter. Die meisten sagen dann, dass Digital Detox doch irgendwas mit Offline sein zu tun hat. Mit Handy abschalten. Wieder analog leben.
Ich beobachte an Unterhaltungen, Medienberichten1 oder Social-Media-Posts, dass eine gewisse Unsicherheit darüber herrscht, was Digital Detox konkret bedeutet. Und dass einige Irrtümer kursieren.
Natürlich habe ich Digital Detox nicht erfunden. Ehrlich gesagt weiß ich nicht mal, ob bekannt ist, wer genau sich diesen Begriff ausgedacht hat. Das ist auch nicht wichtig, denn mir geht es um die Bedeutung, um die Inhalte.
Wenn ich Dir also hier meine Digital-Detox-Definition präsentiere, dann ist das eben nur meine.
Am Ende – und das sage ich jedem, der sich für meine Tipps, meinen Blog oder mein Buch interessiert – ist es eine ganz individuelle Angelegenheit, wie Du Digital Detox in Dein Leben integrierst.
Lass mich also zunächst mit den drei größten Missverständnissen über Digital Detox aufräumen.
Die sind meiner Meinung nach auch dem Begriff "Digital Detox" geschuldet. Übersetzt bedeutet das ja "digitale Entgiftung". Der Ausdruck ist angelehnt an andere Detoxing-Trends, die Du zum Beispiel aus dem Beauty- oder Gesundheitsbereich kennst. Detoxen verkauft sich nun mal gut.
Missverständnis Nr. 1: Digital Detox heißt, analog zu leben und Digitales zu meiden
Du merkst, ich bin mit "Digital Detox" nicht so richtig glücklich. Einerseits finde ich den Vergleich von Digitalem mit Gift nicht verkehrt. Denn wie ich gern sage: Die Dosis macht das Gift.
Das gilt auch für Internet, Smartphone, Social Media, Streaming usw. Bis zu einem gewissen Punkt schaden sie uns nicht. Viele Geräte, Apps und Dienste sind praktisch, machen Spaß und erleichtern uns das Leben.
Problematisch wird es dann, wenn wir die Dosierung des Gifts, also die Nutzung digitaler Geräte und Medien, nicht mehr unter Kontrolle haben. Wie bei einer Zigaretten-, Alkohol- oder Drogensucht. Wenn wir immer häufiger unbewusst zum Handy greifen, obwohl wir das vielleicht gar nicht wollen, es aber nicht sein lassen können. Vor lauter FOMO nicht mehr aufhören können, Facebook oder Instagram zu checken. Wenn wir uns nicht mehr konzentrieren können, weil uns digitale Dienste dauernd unterbrechen und uns unsere Aufmerksamkeit rauben.
Dann zeigen sich Anzeichen einer Überdosierung. Sie sind recht vielfältig. In meinen Artikeln über Symptome von Handysucht und darüber, woran ich gemerkt habe, dass ich ein digitaler Junkie bin, habe ich einige zusammengetragen. Vielleicht erkennst Du Dich darin wieder.
Digital Detox ist nicht anti-digital
Gift ist in unserem Wortgebrauch eher negativ belegt. Wenn es um unsere Gesundheit geht, finden Pharmakonzerne, Ärzte und Medien ständig irgendein neues "Gift", das uns (angeblich) krank macht. In diesem Fall ist es also das Digitale.
Aber die Digitalisierung ist per se nicht schlecht. Sie macht uns erst ab einem gewissen Punkt krank. Wo der liegt, ist bei jedem von uns anders.
Bei meiner Definition von Digital Detox geht es deshalb nicht darum, Digitales zu verteufeln und wieder analog zu leben. Wie soll das auch gehen und warum überhaupt? Im Titel meines Buches (den der Verlag festgelegt hat) heißt es sehr bewusst "Ich bin dann mal analog!" und nicht "Ich bin jetzt wieder analog!".
Mir geht dieses Schwarz-Weiß-Denken auf die Nerven! Es gibt sehr viel dazwischen. Und da ist auch meine Digital-Detox-Philosophie zu finden.
Deswegen spreche ich statt Digital Detox auch lieber von digitaler Balance.
Die zu finden und zu halten ist jetzt und in Zukunft Teil unseres Lebens – genauso wie die Balance zwischen An- und Entspannung, Unter- und Überforderung, Unter- und Übergewicht, Privat- und Berufsleben ...
Missverständnis Nr. 2: Digital Detox ist eine Entgiftungskur, eine gewisse Zeit ohne Handy
Jetzt muss ich Dir gleich nochmal mit dem Gift-Vergleich kommen. Der führt nämlich auch dazu, dass viele denken, bei Digital Detox handele es sich um eine gewisse Zeit ohne Handy, also um eine digitale Entziehungs- bzw. Entgiftungskur.
Nun, das mag vielleicht bei Giftstoffen im Körper klappen. Einmal rausspülen und gut ist. Leider funktioniert das bei einer digitalen Sucht nicht.
Wer glaubt, dass es reicht, einmal ein Digital-Detox-Camp oder einen Digital-Detox-Workshop zu besuchen oder einen Urlaub ohne Handy zu machen, und danach ist alles anders, der wird hinterher schnell merken, dass das nicht klappt.
Denn dann kommt der Alltag. Und mit ihm unsere ganzen Gewohnheiten und Routinen, die sich nicht so einfach ändern lassen, nur weil wir mal ein paar Tage den "Offline-Ausnahmezustand" gelebt haben.
Digital-Detox-Camps und -Urlaube sind ein Anfang, aber kein Alltag
Versteh mich nicht falsch: Digital-Detox-Camps, -Urlaube oder -Seminare wie zum Beispiel die mit meiner lieben "Kollegin" Monika Schmiderer können eine wichtige Initialzündung sein.
Denn positive Gefühle und unser Verlangen nach ihnen motivieren uns viel mehr als Vernunftsgründe (ich sage nur "Man müsste mal ..."). Wenn Du erst einmal merkst, wie gut Du Dich bei einer digitalen Auszeit fühlst, kann Dir das den entscheidenden Tritt in den Hintern geben, Dein (digitales) Leben endlich zu ändern.
Damit Dir ein Camp etc. aber wirklich etwas bringt, solltest Du vor dem Buchen darauf achten, dass qualifizierte Leiter dabei sind und dass sie Dir vor Ort etwas für den Alltag mitgeben. Dass also mehr geschieht, als ein bisschen Zelten ohne Empfang. Denn das kannst Du auch billiger haben.
Zurück zuhause gilt es dann, Deine digitale Gewohnheiten zu erkennen, zu hinterfragen und Dir neue, positivere Routinen anzutrainieren. Das ist der schwierige Part, der ein bisschen Puste erfordert. Aber der Weg lohnt sich!
Es ist ähnlich wie bei Diäten: Der kurzzeitige Verzicht auf kalorienreiches Essen bringt nichts (der Jojo-Effekt lässt grüßen), wenn wir langfristig unser Gewicht reduzieren oder halten wollen. Dazu braucht es eine dauerhafte Ernährungsumstellung.
Digital Detox ist demnach keine kurzzeitige Kur, sondern ein individueller Prozess, der fast Dein ganzes restliches Leben dauern wird. Weil der technische Fortschritt keine Pause kennt und wir uns dieser Entwicklung ständig neu anpassen müssen. Das bringt mich auch zu ...
Missverständnis Nr. 3: Digital Detox ist nur ein Trend
Ich gebe zu, ich bin selten auf Instagram und habe auch nicht viel mit Influencern am Hut. Aber ich kriege hin und wieder mit, dass manche sich in letzter Zeit auch an Digital Detox versuchen und ihre Follower daran teilhaben lassen.
Prinzipiell freue ich mich über jeden, der auf mein Herzensthema aufmerksam macht. Wenn es den Anhängern dieser Menschen zeigt, dass selbst jemand, dessen Business fast komplett digital läuft, es sich leisten kann, nicht ständig erreichbar zu sein und auch mal abzuschalten, dann sage ich: Danke!
Absurd wird es halt dann, wenn Influencer ihre digitale Auszeit digital dokumentieren und posten ... Denn das trägt zu der Annahme bei, dass es sich bei Digital Detox nur um einen kurzzeitigen Trend handelt. Eine Mode, den neusten heißen Scheiß, den man mitmachen muss, um "in" zu sein.
Digital Detox ist kein Trend. Zwar ist es eine noch relativ neue Bewegung, aber eine, die bleiben wird. Bleiben muss.
Weil wir lernen müssen, mit der Digitalisierung und ihren guten und schlechten Seiten umzugehen. Auch und gerade, wenn wir das Gefühl haben, nicht hinterherzukommen, weil es ständig etwas Neues gibt, auf das wir uns einstellen müssen.
Ich weiß sehr wohl, dass das viele überfordert. Glaub mir, es geht mir nicht anders. Ich weiß auch oft nicht, wo hinten und vorne ist und es gibt vieles im virtuellen Kosmos, von dem ich nichts weiß oder bewusst nichts wissen will.
Genau darum geht es auch bei "meinem" Digital Detox: in der Lage zu sein, Entscheidungen fällen zu können. Das ist wahrscheinlich sogar die Königsdisziplin. Denn bei der gewaltigen Informationsflut, die uns tagtäglich fast umreißt, müssen wir auswählen können. Was uns wichtig ist und was nicht. Was wir lesen, anschauen, anhören, konsumieren. Und was nicht. Denn es geht um unsere Lebenszeit und die ist knapp und wertvoll.
Digital Detox braucht ein Warum
Wer sich seiner digitalen Nutzung nicht bewusst ist, kann in Zukunft nicht mehr selbstbestimmt leben. Wenn wir das überhaupt noch können. Ich bin nicht sicher.
Aber ich weiß: Wenn Du Dir noch ein bisschen Freiheit erhalten möchtest, kommst Du um Digital Detox nicht herum.
Das klingt vielleicht so, als ob Du eben doch diesen "Trend" mitmachen müsstest.
Nein, "müssen" musst und sollst Du nicht. Denn Studien zeigen, dass Menschen, ihr Handy nicht freiwillig weglegen, oft noch gestresster sind, später die verlorene Bildschirmzeit nachholen und manchmal noch länger am Smartphone hängen als sonst.2
Ich schließe aus solchen Studien, dass Digital Detox nur bei den Menschen wirklich funktioniert, die sich freiwillig dazu entscheiden. Weil sie ihr "Warum" kennen.
Das Warum, also Deine Beweggründe, ist der Schlüssel, wenn Du Deine digitalen Gewohnheiten verändern willst. Es motiviert und hilft Dir, am Ball zu bleiben. Denn ein Spaziergang ist das Finden und Halten der digitalen Balance nicht. 3
Darum ist Digital Detox für mich eine Lebenseinstellung. Denn existenzielle Fragen wie "Wie will ich leben?", "Was ist mir wichtig im Leben?", "Wie will ich die Zeit, die mir gegeben ist, verbringen?" usw. sind auch im digitalen Zusammenhang wichtig.
Meine Definition von Digital Detox – kurz und knackig:
Digital Detox bedeutet, zu lernen, bewusst mit digitalen Medien und Inhalten umzugehen. Meine digitalen Gewohnheiten zu beobachten, zu hinterfragen und ggf. zu ändern. Damit ich selbst bestimmen kann, wann und wie ich Digitales nutze – und mir mehr Zeit zum Leben bleibt.
Falls Du Dich bisher noch nicht mit Deiner digitalen Balance beschäftigt hast, aber merkst, dass Dir das gut tun würde, schau Dich gern auf meinem Blog um. Hier findest Du viele Anregungen, wie Du Dein digitales Leben gestalten kannst. Vielleicht ist auch mein Buch für Dich eine Option.
Ich hoffe, ich konnte Dir mit diesem Artikel – mit einiger Verspätung, die aber auch logisch ist, weil einfach viel von meinen Erfahrungen aus den letzten Jahren einfließt – die Frage "Was ist Digital Detox?" verständlich beantworten.
Was hat Digital Detox bisher für Dich bedeutet? Wie lebst Du Deine digitale Balance? Verrate es mir gern in den Kommentaren, ich freue mich!
Fußnoten
- Übrigens werde ich als Expertin auch hin und wieder mal befragt, wie zum Beispiel vom Mitteldeutschen Rundfunk oder dem Radiosender YouFM.
- Hier kannst Du mehr über diese Digital-Detox-Studie erfahren.
- Wenn Du mehr über mein Warum erfahren willst, schau auf meine "Über mich"-Seite.