Bimmeln hier und Blinken da – so verhinderst Du, dass Dich ständige Unterbrechungen unglücklich machen

Freundinnen sitzen auf der Bank, eine schaut auf ihr Handy

Eigentlich wollte ich für diesen Blogartikel wie für jeden meiner Texte einen stimmigen Einstieg schreiben.

Ich setzte mich also an meinen Schreibtisch und suchte nach den richtigen Worten. Kaum kamen die ersten Ideen, warf mir meine Hündin Paula ungeduldig ihr Stoffschaf vor die Füße. Und schwupps war ich raus aus meinen Überlegungen.

Dieser Artikel handelt aber nicht von den normalen Unterbrechungen, die das Leben so mit sich bringt.

Sondern von denen, die durch die Digitalisierung permanent in unser aller Leben bimmeln und blinken und denen wir uns nur selten entziehen.

Sollten wir aber. Zumindest, wenn wir vorankommen wollen.

Aber nicht nur das: Digitale Störungen nicht ständig zuzulassen, ist auch eine existenzielle Angelegenheit. Weil sie uns sonst das Leben versauen.

Alle 18 Minuten lassen wir uns unterbrechen

In einer Studie der Uni Bonn haben Wissenschaftler rund um Alexander Markowetz die App "Menthal" entwickelt.

Diese App dokumentiert das Nutzerverhalten von Smartphonebesitzern. Also wie oft jemand den Bildschirm aktiviert, wie viel Mal er Apps öffnet, wie lange er sie nutzt usw. Damit wollen die Forscher herausfinden, auf welche Art und Weise und wie intensiv wir unser Smartphone benutzen.1

Herausgekommen ist dabei, dass wir im Schnitt 88 Mal am Tag aufs Handy schauen. 53 Mal davon nutzen wir es dann auch, indem wir eine oder mehrere Apps verwenden.

Das heißt, dass wir durchschnittlich zweieinhalb Stunden am Tag mit unserem Smartphone zugange sind.2

Und das sind nur die Zahlen Stand 2015. Mittlerweile dürften sie sich weiter erhöht haben.

Umgelegt auf unsere Wachzeit bedeutet das: Wir unterbrechen alle 18 Minuten unsere aktuelle Tätigkeit, um auf unser Handy zu schauen.

Die Vielnutzer, die immerhin ein Viertel aller Smartphonebesitzer ausmachen, fummeln sogar alle 14 Minuten an ihrem Gerät herum.3

Was machen diese ständigen Unterbrechungen mit uns?

Sie haben gravierende Folgen. Alexander Markowetz sagt es in seinem Buch frei heraus:

Millionen Nutzer sind [...] dabei, sich mit ihrem Smartphone ein Verhalten anzutrainieren, das ihre geistige Leistungsfähigkeit mindert. [...] Diese digitale Daueralarmbereitschaft überfordert unsere kognitiven, psychischen und sozialen Fähigkeiten und gefährdet damit sowohl unsere Jobs als auch unsere Beziehungen zu Freunden und Familie. Was daraus entsteht, ist ein psychosoziales Beben, das uns in eine kollektive Verhaltensstörung führt, die ich den 'Digitalen Burnout' nenne."4

Übertreibt er nicht ein bisschen, denkst Du vielleicht?

Dachte ich zuerst auch. Aber wenn wir uns genauer anschauen, was diese ständigen Cuts in unserem Alltag anrichten, können wir diese Effekte nicht ignorieren:

Wir verlernen, uns auf eine Sache zu konzentrieren.

Deshalb können wir kaum noch etwas in Gänze erfassen und verarbeiten.

Kurzum: Konzentrations- und Merkfähigkeit nehmen rapide ab. Und damit unsere Leistungsfähigkeit und Produktivität.

Smartphones sind kein Fortschritt

Das Verrückte ist, dass technische Neuerungen dazu entwickelt werden, unsere Arbeit effizienter zu machen. Und uns das Leben zu erleichtern.

Wenn wir zurückschauen in die Technikgeschichte, dann ging mit jeder bahnbrechenden Erfindung (Fabrikmaschinen, Auto, Telefon etc.) auch ein Fortschritt in Sachen Produktivität einher. Das heißt, wir konnten damit einfacher, billiger oder schneller etwas produzieren bzw. in weniger Zeit mehr leisten als vorher.

Das Smartphone ist eine der wenigen technischen Neuerungen, die diesen Effekt nicht hat. Im Gegenteil: Es scheint, als kehre das Gerät diesen Trend um.

Eigentlich logisch: Wer dauernd in seiner Arbeit unterbrochen wird, braucht länger für seine Aufgaben. Fehler inklusive.

Denn wie ich Dir in meinem Artikel zum Multitasking erklärt habe, sind wir nicht in der Lage, mehrere Sachen gleichzeitig zu machen und dabei immer voll bei der Sache zu sein.

Unterbrechungen verhindern den so wichtigen "Flow"

Wir können natürlich sagen, dass schlechtere Produktivität nicht unser Problem, sondern das der Arbeitgeber ist. Dass Angestellte ihr Geld am Ende des Monats kriegen, egal, wie viel sie tatsächlich leisten.

Kann uns ja egal sein. Oder?

Nein. Denn es geht nicht nur um Arbeitsleistung und Geld.

Es geht unser Leben und unser Wohlbefinden. Unser Glück!

Ständige Unterbrechungen machen uns unglücklich. Das liegt auch daran, dass wir nicht mehr richtig in den "Flow" kommen.

Die "Flow"-Theorie5 geht auf den Glücksforscher Mihály Csíkszentmihályi zurück.

Im "Flow" sein heißt, dass wir in einer Tätigkeit vollkommen aufgehen, so dass wir in einen Zustand der Tiefenkonzentration kommen, die uns alles um uns herum vergessen lässt. Wir kommen in eine Art "Schaffensrausch", der uns Spitzenleistungen erzielen lassen kann.

Das Resultat ist ein tiefes Gefühl von Zufriedenheit, Harmonie und innerem Einklang.

Wir fühlen uns glücklich. Auch, weil wir im Moment des Schaffens unsere Alltagssorgen hinter uns lassen können.

Je mehr von diesen "Flow"-Momenten wir haben, desto glücklicher und zufriedener sind wir mit unserem Leben, behauptet Mihály Csíkszentmihályi.

In den "Flow" zu kommen ist also bei jeder Tätigkeit wichtig. Essenziell ist es aber in geistigen Berufen, in denen viel Kreativität gefragt ist, oder auch im Spitzensport.

Wie kommen wir in den "Flow"?

Die Voraussetzungen dafür, dass etwas fließen kann, sind folgende:

  1. Wir haben ein klares Ziel.
  2. Wir konzentrieren uns voll und ganz auf dieses Ziel.
  3. Wir haben die Kontrolle über unsere Tätigkeit.
  4. Die Anforderung und unsere Fähigkeiten befinden sich im Einklang. Die Aufgabe unter- oder überfordert uns also nicht.

Sind diese Dinge gegeben, können wir den "Flow"-Zustand erreichen.

In den kommen wir aber erst etwa ab der 16. Minute unserer Tätigkeit. Und das ist der Knackpunkt!

Wenn wir nämlich im Schnitt alle 18 Minuten (oder als Heavyuser alle 14 Minuten) unsere eigentliche Aufgabe unterbrechen, um auf unser Handy zu schauen oder ins E-Mail-Programm, dann verhindern wir den "Flow".

Denn sobald wir etwas anderes tun, beginnt die Uhr wieder von vorn zu ticken. Und wir brauchen wieder mindestens 15 Minuten, um in die Tiefenkonzentration zu kommen.

Ein riesiges Problem, zum Beispiel für Büromenschen!

Ein Experiment am Kings College hat gezeigt, dass sogar bekiffte Studenten leistungsfähiger sind als Studis, die dauernd von eingehenden E-Mails unterbrochen werden.6

Digitale Medien zerstückeln unseren Tag − und unser Glück

Mit der Digitalisierung haben die Unterbrechungen massiv zugenommen.

Hat früher allenfalls mal das Telefon geklingelt oder der Kollege etwas gefragt, gibt es heute mit dem Computer, dem Internet, dem E-Mail-Programm, dem Handy etc. so viele "Unterbrecher", dass wir kaum noch in Ruhe etwas erledigen können.

Das fängt schon beim Lesen im Internet an: Hypertext, also Onlinetext mit Links usw., ist an sich eine gute Sache und dem analogen gedruckten Text überlegen.

Allerdings fordern die Verweise uns zum Multitasken auf. Weil jeder Link wieder eine neues Fenster öffnet und unserem Hirn eine neue Aufgabe gibt. Und wir können ja wenn überhaupt nur zwei Dinge parallel machen.

Jeder Link stört also unseren Lesefluss.

Schon deswegen, weil wir überlegen, ob wir draufklicken sollen oder nicht. Schwupps sind wir aus der Konzentration auf den eigentlichen Text gerissen. Klicken wir drauf, ist unser Lesefluss komplett unterbrochen.

Das führt dazu, dass wir Zusammenhänge nicht mehr richtig erinnern und verstehen.

Vielleicht ist Dir schon aufgefallen, dass ich auf meinem Blog viel mit Fußnoten arbeite. Das hat nichts damit zu tun, dass ich akademisch rüberkommen will.

Ich will Dir die Quellen oder weitere Hinweise zur Verfügung stellen, ohne Dich zu sehr aus der Konzentration zu reißen. Auch wenn ich weiß, dass es nicht die beste Lösung ist (die wäre, auch die Fußnoten wegzulassen), aber immerhin ein Anfang.

Das Smartphone ist der ultimative "Unterbrecher"

Forscher unterscheiden verschiedene Arten von Unterbrechungen:

  • Totale Unterbrechungen, die uns vollends aus unserer eigentlichen Aufgabe reißen, wie ein Telefonat, ein Videochat oder ein Spiel
  • Dominante Unterbrechungen, die einen Großteil unserer Aufmerksamkeit von der aktuellen Tätigkeit abziehen und unsere Arbeit damit stören und verlangsamen, wie beispielsweise das Surfen im Netz
  • Ablenkungen, die unseren Fokus teilweise verschieben und unsere Leistung drosseln, wie das parallele Chatten mit Freunden
  • Hintergrundaktivitäten, die unser Tempo und unsere Sorgfalt stören können, wie Musik hören

Alle vier Unterbrechungsarten können unsere Produktivität negativ beeinflussen, also den "Flow" verhindern.

Das Smartphone liefert uns alle vier. Und zwar ständig.

Es hat somit massive Auswirkungen auf unsere Arbeit und unser Leben insgesamt.

Längst keine "Managerkrankheit" mehr: "Attention Deficit Trait"

Es gibt keine Langzeitstudien über die Folgen der ständigen Unterbrechungen durch digitale Gadgets.

Das kommt daher, dass das Phänomen mit gerade mal zehn Jahren zu jung ist. 7 Außerdem hat damals niemand geahnt, welche gravierenden Auswirkungen diese technische Entwicklung auf unser Leben haben würde.

Doch schon die Untersuchungen zu den kurzfristigen Folgen unserer Smartphonenutzung sind besorgniserregend.

Es gibt zum Beispiel Studien, die nachweisen, dass Menschen, die schon lange multitasken, neben üblichen Stresssymptomen Auffälligkeiten wie Abgelenktheit, innere Unruhe und Ungeduld zeigen. Sie sind weniger in der Lage, Prioritäten zu setzen und Abläufe sinnvoll zu organisieren.

Früher noch als "Managerkrankheit" bezeichnet, sind diese Symptome zu einem Massenphänomen geworden.

Dieses Phänomen nennt sich "Attention Deficit Trait", kurz ADT, zu Deutsch etwa "Aufmerksamkeits-Defizit-Merkmal".8 Es ist der hierzulande noch bekannteren ADHS ähnlich und entsteht durch die Überforderung des Gehirns aufgrund ständiger Reizüberflutung und permanenter Gleichzeitigkeit von Tätigkeiten. Einige Forscher nennen es daher auch "digitale ADHS".

Es sind aber nicht nur die aufgezählten Symptome, die uns belasten können, wenn wir uns ständig von digitalen Medien stören lassen.

Hinzu kommt auch, dass wir uns immer häufiger unglücklich und schuldig fühlen, weil wir den Eindruck haben, unseren Aufgaben nicht mehr gewachsen zu sein. Weil wir eben nicht mehr richtig vorankommen. Und auch nicht mehr richtig bei uns sind.

Leiten wir Gegenmaßnahmen ein!

Wollen wir uns also von unserem Handy und anderen digitalen Medien nicht das Leben versauen lassen, müssen Gegenmaßnahmen zur digitalen Diktatur her.

Einfach und sehr effektiv: Pausen machen! Und damit ist nicht die Pause gemeint, in der wir mit dem Smartphone in der Hand am Esstisch sitzen. Wie Du wertvolle Auszeiten einlegst, erkläre ich Dir in meinem Artikel über echte Pausen.

Ansonsten lege ich Dir hier drei Tipps für Deinen Alltag ans Herz. Schreib' mir gern, ob sie Dir weiterhelfen.

Ausschalten

Das klingt banal. Ist es auch. Aber wir machen es viel zu selten.

Wenn Du also Dein Smartphone für einen absehbaren Zeitraum nicht benötigst und auch nicht zwingend erreichbar sein musst, dann schalte es komplett ab.

Und dann tu' das, was Du eigentlich tun möchtest. Mit voller Konzentration.

Abschalten

Wenn Dir das komplette Ausschalten (für den Anfang) zu radikal ist, dann deaktiviere Töne (auch den Vibrationsalarm) und im nächsten Schritt auch Benachrichtigungen wie blinkende LEDs.

Es gibt viele Apps (News, Messenger, Immobilien- oder Autosuche, Partnerbörsen etc.), die unsere Aufmerksamkeit mit Benachrichtigungen einfordern und uns ablenken. Oft findest Du in den Einstellungen der App Optionen, solche Benachrichtigungen abzustellen oder sie zumindest auf ein Minimum zu beschränken. Tu' das.

Du wirst merken: Wenn jemand anruft, rufst Du ihn später zurück. Wenn jemand Dir schreibt, antwortest Du später. Dann, wenn es für Dich passt. Das wird okay sein für die anderen. Und befreiend für Dich.

Tipp on top: Wenn Du für bestimmte Leute erreichbar sein musst (musst Du?), dann gibt es bei vielen Smartphones die Möglichkeit, im Ruhemodus trotzdem Anrufe bestimmter Kontakte durchzustellen. Schau, ob Du diese Einstellung bei Dir findest. Und aktiviere sie für so wenige Kontakte wie möglich.

Zurückschalten

Wenn Du über den Tag verteilt viele E-Mails bekommst, solltest Du nicht nur die Benachrichtigung ausschalten, sondern auch den Abruf einschränken. Sowohl am PC als auch am Smartphone. Ganz ehrlich: Wer erwartet, dass Du auf eine E-Mail binnen Minuten antwortest, der soll Dich lieber anrufen.

Drossele also den Abruf. Entweder Du stellst ihn so ein, dass er nur alle paar Stunden automatisch Dein Postfach überprüft. Oder noch besser: Du rufst die E-Mails manuell ab. Dann, wenn Du auch Zeit hast, Dich den Nachrichten zu widmen.

Idealerweise tust Du das erst dann, wenn Du eine Aufgabe komplett erledigt hast. Du kannst Dir auch feste Abrufzeiten überlegen und diese an Kollegen oder Freunde weitergeben.

Überlege Dir außerdem: Ist es fundamental wichtig, die E-Mails überhaupt auf dem Handy zu empfangen? Wenn nicht, weg mit dem mobilen Mail-Account.

Wie fühlst Du Dich mit den ständigen digitalen Unterbrechungen? Erzähl mir davon in den Kommentaren!

Fußnoten

  1. Mehr über das "Menthal"-Projekt und die App.
  2. Wenn Du mal wissen willst, wie viel Lebenszeit Dir durch digitale Medien flöten geht, kannst Du das auf der Website von Anitra Eggler berechnen.
  3. Mehr zu den Studienergebnissen der Uni Bonn.
  4. "Digitaler Burnout", S. 16f.
  5. Mehr über die Flow-Theorie.
  6. Diese Studie wird überall zitiert. Ich habe aber keine sinnvolle Quelle dazu gefunden, die mehr Infos liefert als die, die ich schon erwähnt habe.
  7. 2007 ist mit dem iPhone das erste richtige Smartphone auf den Markt gekommen.
  8. Klicke hier, wenn Du mehr über "Attention Deficit Trait" erfahren willst.

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